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Die Angst als bester Freund des Boxers

 

 

Sein tätowierter Arm mit dem schwarzen Boxhandschuh schießt nach vorne. Zischend atmet Martin Schneider aus. Doch kurz bevor das Leder das Gesicht seines Gegenübers trifft, zieht der Sportstudent die Hand zurück.

Im Keller einer kleinen Halle in der Kölner Südstadt trainieren 24 Männer und vier Frauen ihre Punshes, Körpertreffer und Haken – angedeutet beim Schattenboxen. Ernst wird es für Martin Schneider erst am nächsten Wochenende in der Vorrunde zur Mittelrheinmeisterschaft. Dann wird er nicht nur gegen seinen Gegner sondern auch gegen seine eigene Psyche kämpfen.

 

„Man muss gut vorbereitet sein, damit man keine Angst hat“, erklärt Martin Schneider. Zehn Minuten tänzeln sein Gegner und er nun bereits voreinander her. Schneiders schwarzes T-Shirt klebt nass an seinem Körper.

Doch nicht nur die körperliche Fitness gehört zu einer guten Vorbereitung. „Wir versuchen die Angst durch eine Analyse der Schwächen des Gegners zu unterbinden und so den Sportlern eine gewisse Sicherheit zu geben“, erklärt Trainer und Boxschul-Inhaber Rolf Worthoff. Mit lauter Stimme schickt er seine Schüler an die zehn von der Decke hängenden Sandsäcke.

 

Doch auch die beste Vorbereitung kann den Respekt vor dem Gegner, Nervosität und Angst kurz vor dem Kampf nicht völlig verhindern. „Ein Cut passiert, trotzdem hat man mehr Angst vor einer Niederlage als vor dem Gegner“, meint Schneiders Trainingskollege Stefan Worth. Mit 72 Wettkämpfen ist er einer der erfahrensten Boxer in der Trainingshalle an diesem Abend. Zweimal wurde er Mittelrheinmeister, zweimal westdeutscher Meister. [Außerdem kämpft er in der Ober- und Bundesliga.] Anders als Profi-Boxer tragen Amateure bei ihren Kämpfen neben einem Mund- auch einen Kopfschutz. „Beim Amateurboxen geht es nur um den Sport, als Athlet ist man daher gut aufgehoben“ meint Schneider. Das schlimmste für jeden Boxer, den K.O.-Schlag, haben daher weder Schneider noch Worth bisher erlebt.

 

Während die übrigen Boxer auf die Sandsäcke einschlagen, steht Worth mit seinem Trainer im Ring in der hinteren Ecke der kleinen Halle. Sobald der Trainer die rot-weißen, gepolsterten Rechtecke in die Luft hält, schlägt er zu. Links, links, rechts. Einen Schritt auf den Trainer zu, wieder zurück bis er die nächste Schlagfolge auf sein Ziel einprasseln lässt. „Im Ring musst du Angst in Aggression umwandeln“, sagt Worth. Dann ist die „Angst der beste Freund eines Sportlers“, zitiert er Constantine "Cus" D'Amato. Mit dieser Einstellung hatte D`Amato als Trainer unter anderem Mike Tyson zu seinem Weltmeistertitel im Schwergewicht verholfen.

 

Je besser der Boxer, desto wichtiger wird die Rolle der Psyche. „Im hohen Leistungsbereich haben die Sportler konditionell ein so ähnliches Niveau, dass dort die Psyche einen Anteil von 50 Prozent am Sieg haben kann“, erklärt Dr. Thomas Heinen, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Psychologischen Institut der Deutschen Sporthochschule Köln. Spezielle Verfahren wie das Mentaltraining oder das Training der inneren Sprache werden jedoch selten in Anspruch genommen. Dabei könnten psychologische Treatments eine Leistungssteigerung von 30 bis 50 Prozent bringen, meint Heinen.

 

Sparring und viele Wettkämpfe sind das grundlegende Mentaltraining der Worthoff-Boxer. Angst und ihre verschiedenen Facetten sind für Trainer Worthoff vor allem aus einem Grund wichtig: Sie nimmt seinen Schülern die Selbstüberschätzung.

„Mit Angst kann man arbeiten“, meint er. Und das muss man auch, um erfolgreich zu sein. Denn erst wenn Martin Schneider und Stefan Worth ihre eigene Psyche im Griff haben, können sie auch ihre Gegner besiegen.